Heute startet der Schwimmkurs. Monatelang standet ihr auf der Warteliste. Du hast dich gekümmert, alles vorbereitet. Und jetzt seid ihr da. Du hältst die Tasche, dein Kind steht neben dir – und sagt:
„Ich will nicht!“
Du gehst trotzdem mit ihm rein. Vielleicht wird’s ja noch.
Aber dann steht ihr vorm Becken. Alle Kinder planschen schon. Die Schwimmlehrerin ruft. Und dein Kind klammert sich an dich. Es weint.
Und du?
Du stehst mitten in dem Ganzen.
Alle schauen dich an. Die anderen Eltern. Die Schwimmlehrerin. So viel Druck von innen und außen. In dir der Gedanke:
“Hole ich jetzt alles raus, was ich kenne?” Drohen? Überreden? Versprechen? Oder spüre ich: “Mein Kind ist (noch) nicht bereit?” und dass das okay ist.
Vielleicht ist es nicht der Schwimmkurs. Vielleicht ist es die erste Klassenfahrt. Der Friseurbesuch. Die Übernachtung bei der Tante.
Und immer wieder diese Fragen:
“Wann zwinge ich mein Kind – und wann nicht?”
“Wann ist es wichtig, dran zu bleiben?”
“Und wie kann ich mein Kind unterstützen, neue Dinge mutig anzugehen – ohne es zu übergehen?”
Zwang ist keine Brücke, Zwang ist ein Riss
Kinder zu zwingen – zu Dingen, die nicht medizinisch oder sicherheitsbedingt notwendig sind – ist ein stiller Akt von Gewalt. Kein Schlag. Aber ein Schnitt. Eine kleine Trennung von der Verbindung, die euch trägt.
Wenn du dein Kind drängst, manipulativ argumentierst („Alle anderen machen das auch!“, „Sei doch kein Baby!“), oder mit Konsequenzen drohst („Wenn du nicht zum Schwimmkurs gehst, streichen wir auch das Fußballtraining.“), nutzt du deine Macht. Diese Macht fühlt sich für dein Kind nicht wie Liebe an, sondern wie Verlassenwerden. Sie stärkt dein Kind nicht, sondern bringt es nur zum Funktionieren.
Wenn du willst, dass dein Kind neue Dinge selbstbewusst angeht, dann braucht es keinen Zwang – sondern Sicherheit.
Sicherheit, die durch die Beziehung entsteht, die du mit deinem Kind führst. Durch das Gefühl: Ich darf mir Zeit nehmen. Ich werde unterstützt, nicht gezwungen. Wirkliches Selbstvertrauen entsteht nicht im Druck. Es wächst dort, wo sich ein Kind innerlich sicher fühlt, einen Schritt zu wagen. Nicht, weil es muss. Nicht, um zu gefallen. Sondern, weil es in sich die Stärke spürt, Neues zu wagen.
Was, wenn das Nein deines Kindes echte Stärke zeigt?
Ein neuer Blickwinkel für dich: Ein Nein ist oft ein Zeichen von unglaublicher Stärke. Betrachte es doch mal so: Dein Kind sagt: „Ich kenne meine Grenze. Ich fühle mich.”
Das ist keine Schwäche. Das ist ein Ausdruck von Selbstwahrnehmung.
Ein Kind, das Nein sagt, spürt sich selbst. Ein Kind, dessen Nein gehört wird, erlebt sich als wirksam. Und genau daraus entsteht echte innere Stärke.
Viele von uns mussten das verlernen, weil wir als Kinder immer wieder übergangen wurden. Weil wir gezwungen wurden. Weil wir gelernt haben, brav zu funktionieren – statt uns selbst zu spüren.
Dein Kind zeigt dir gerade: Ich kann für mich einstehen. Und das ist etwas, das viele Erwachsene sich heute mühsam zurückholen müssen.
Also statt zu fragen: “Wie bekomme ich mein Kind jetzt schnellstmöglich dazu?” frag lieber:
- Was braucht mein Kind, um sich bereit zu fühlen?
- Was in mir selbst fühlt sich gerade getriggert (weil mein Kind sich weigert)?
- Was wünsche ich mir wirklich – für mein Kind, für mich?
Ich erzähle dir von meinem Sohn.
Mein Sohn war sechs Jahre alt. Wir waren in einem neuen Hotel angekommen – und dort wurde Kinder-Yoga angeboten. Es klang nach einer schönen Idee.
Ich dachte: Wie schön wäre das? Mein Sohn macht etwas für sich. Ich habe mit dem Baby ein bisschen Ruhe. Vielleicht kann ich mich sogar kurz hinlegen.
Aber er wollte nicht. Okay, was nun?
Was ich mich in solchen Momenten immer zuerst frage:
Was braucht er, um sich sicher zu fühlen? Wie können wir es so gestalten, dass Mitmachen möglich wird?
Ich ging mit ihm ins Gespräch und habe ihm angeboten:
„Ich bleibe bei dir. Ich setze mich einfach dazu. Du kennst unser Zeichen. Wenn du soweit bist, gib mir den Daumen nach oben – dann gehe ich.“
Ich saß die ersten Minuten einfach da. Nicht drängend. Nur da. Nach drei Minuten kam der Daumen hoch.
Er wusste: Ich darf in meinem Tempo gehen. Ich bestimme, wann ich bereit bin. An den nächsten Tagen ist er ganz allein zum Kinderprogramm gegangen.
Ein paar Monate später kam ein ähnlicher Moment.
Mein Sohn – inzwischen sieben – hatte immer lange Haare. Nie wollte er sie schneiden. Und dann stand er plötzlich vor mir, schaute mich an und sagte:
„Mama, ich will jetzt.“ Es war sein Moment. Nicht meiner.
Es gibt genug Situationen, in denen wir unsere Kinder zu etwas bringen müssen – aus medizinischen Gründen, aus Sicherheitsgründen, oder einfach, weil der Alltag Grenzen hat. Lasst uns doch in all den anderen Momenten, in denen das nicht der Fall ist, hinter unseren Kindern stehen.
Du willst ein starkes Kind? Dann werde ein sicheres Gegenüber.
Zwang entsteht in Trennung – in der Trennung von dir selbst und von deinem Kind. Oft greifen wir zu Druck, wenn wir selbst uns nicht sicher fühlen.
In Verbindung hingegen darf alles da sein. Auch Angst. Auch Widerstand. Auch ein Nein.
Wenn dein Kind spürt: Mama ist bei mir. Sie sieht mich. Sie hört mein Nein. Dann kann daraus ein Ja wachsen – ein Ja aus Stärke.
Aus Herzstärke. So nennen wir das beim Großlieben.
Wenn ein Kind nicht funktioniert, sondern innerlich wächst – weil es gehalten wird.
Lass uns Kinder begleiten, statt sie zu drängen. Lass uns großlieben.
Und wenn du dich das nächste Mal fragst: Muss ich mein Kind zu etwas zwingen? Dann erinnere dich: Du darfst stattdessen seine Herzstärke wachsen lassen. Und deine gleich mit.
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